Reisebericht Nordindien
von Mewari auf 18.06.2019
3000 km mit dem Auto unterwegs
In den letzten beiden Wochen haben wir knapp 3.000 km Landstrasse zurueckgelegt. Wir hatten uns in Delhi kurzerhand dafuer entschieden, ein Auto zu mieten, um flexibler zu sein, vor allem wegen Petra, die ja ihre professionelle Fotoausruestung dabei hat und insbesondere das einfache Landleben als Motiv interessiert.
Bei unserer Ankunft in Delhi war ein dreitaegiger Streik ausgerufen: tausende hablegale Haendler haben gegen die Regierung protestiert, die zu den Commonwealth Games 2010 diese bislang - auf Duldung & Bakschisch basierenden - Geschaefte einschraenken will. Das haette eine Flut von Arbeitslosen zur Folge. Fuer uns bedeutete dies ein Viertel des Verkehrs- und Verkaufsaufkommens. Fuer Petra als ersten Eindruck von Indien war dies mehr als genug, fuer mich willkommene Ruhe. So hatten wir genug Zeit, uns die groesste indische Moschee anzusehen, in der noch einige Tage zuvor 25.000 Moslems das Ende des Ramadans gefeiert haben. Das haette ich gern als Zaungast erlebt.
Amritsar im Norden Indiens
Unsere erste grosse Fahrt brachte uns ins 10h entfernte Amritsar im Norden Indiens: eine Millionenmetropole, die als einzigen Blickfang den beruehmten Goldenen Tempel inmitten eines kleinen, kuenstlich angelegten Sees bot. Es ist die heilige Stadt der Sikhs (der Klischee-Turban-Inder), die weder rauchen noch trinken und dies auch sonst argwoehnisch beaeugen. Wir haben uns also gefuehlt wie Halbstarke, die sich zum heimlichen Rauchen in einer dunklen Gasse verstecken. In einem Restaurant ausserhalb der Bannmeile des Tempels gab es unerwartet Wein zu meinem Geburtstag. Ein Geschenk. Allerdings von kurzer Dauer, da eine Bande aufgekratzter Amerikanerinnen mit laecherlichen Hueten den Gastraum in Beschlag nahmen. Sie waren zum Sikkhismus konvertiert und - wie in vielen solcher Faellen - besonders bemueht, die besseren Glaeubigen zu sein. Keine ab-originale Sikh-Frau stuelpt sich eine derartig alberne Kopfbedeckung auf. Diese Huehner liessen uns vom Kellner ausrichten, dass sie den Wein- und Zigarettenkonsum unsererseits missbilligten. Wir schluckten unsere Missbilligung mit dem letzten Schluck Rotwein runter.
Unser naechstes Ziel war Chandigarh, die Hauptstadt des Bundesstaates Punjab, die von Le Corbusier auf dem Reissbrett entworfen wurde. Grotesk, die Inder in quadratische Sektoren stecken zu wollen wie Laeufer, Turm und Bauer. Auf der halsbrecherischen Fahrt dahin haben wir beide streckenweise abwechselnd ans Ueberleben oder an den Import von phosphoreszierenden Farben gedacht. Die Strassen sind ein Extrakt des gesamten Landes. Ein Machtspiel wie im Tierreich: der Staerkere obsiegt. Alles, was in der Lage ist, sich fortzubewegen, findet man auf den Strassen vor. Und wenn man schon von einer Kuh oder einem heimkehrenden Bauern keine Ruecklichter erwarten kann, von allen anderen leider auch nicht. Liegengebliebene Lorries werden mit Zweigen und Steinen am Boden, statt eines Warndreiecks gekennzeichnet.
Ein Hochstmass an Konzentration ist gefordert
In den kohlrabenschwarzen Nächten wenig hilfreich - das meiste wird erst in letzter Sekunde ausgemacht. So erfordert das Leben auf der Landstrasse ein Höchstmass an Konzentration und Reaktion. Die Augen schmerzen vom Spähen ins dunkle Nichts. Hunderte Male haben wir still ein "Das war knapp!" mit den Lippen formuliert. Dennoch: es passiert weitaus weniger als in Deutschland auf einer Strecke wie der, die wir insgesamt hinter uns gebracht haben. Möglicherweise sind es die Geschicklichkeit, die Coolness und die Intuition, die uns mitsamt den archaischen Instinkten durch striktes Reglement mit der Zeit verloren gegangen sind, die dieses Chaos funktionieren lassen. Trotzdem: von der vielstimmig prognostizierten Weltmacht ist Indien noch so weit entfernt wie ein Elefant vom Ballettunterricht. Alles andere ist elitäres Geschwätz im Zusammenhang mit Globalisierung durch einen Augenschlitz einer Burka betrachtet. Rasante Veränderungen sind allerdings allerorten zu bestaunen: die Preise sind enorm gestiegen, die Anzahl und Höhe der Hotels ebenfalls. Sie sind also eher materieller Natur denn im Bewusstsein. Um die unfassbare Luftverschmutzung zum Beispiel: man kann die schleimig braune Brühe, die den Mond rot färbt förmlich mit den Händen greifen. Das Atmen fällt schwer, das Rauchen mach keinen Spass.
Varanasi, die heilig-dreckige Stadt am Ganges: smogverkatert haben wir den viel gerühmten Sonnenaufgang am Fluss erwartet, wie wir die meiste Zeit noch vorm Hahnenschrei augestanden sind, um die grössten Entfernungen bei Tageslicht zu bewältigen. Nach anfänglicher Überwindung hat sich herausgestellt, dass dies die schönste Stunde des Tages ist: das Licht, die erwachenden Menschen, der Nebel über den Feldern, die damit einhergehen. Keine Zeit ist unschuldiger. Doch zurück zum Ganges. Die Vielzahl der Boote mit Touristen vollgestopft, erinnert an den Spreewald und ist dem Ort so wenig angemessen wie eine Technoparty auf dem Friedhof. So sind wir zu Fuss and den Ghats entlang gewandert und haben uns den Budenzauber aus seltsam "unseriösen" Sadhus und Geschäftemachern aller Art aus nächster Nähe an- sowie den Pilgern beim morgendlichen Wasch- und Betritual zugeschaut. Das main burnig ghat, an dem täglich mehrere hundert "frischer" Leichen (kein Körper darf älter als 24h tot und muss eines natürlichen Todes gestorben sein) fein säuberlich nach Kasten getrennt verbrannt werden, darf ein Nicht-Hindu nur von einem Balkon in der unmittelbaren Nähe anschauen aus Respekt vor den Angehörigen. Allerlei Schindluder wird mit unwissenden Touristen getrieben: hanebüchene Geschichten über mangelndes Geld für Feuerholz für Tote ohne Familie werden erfunden, um die schwer beeindruckten Westler zu übertölpeln und ihnen Unsummen abzuluchsen. Der Industriezweig Spenden und das Geschäft mit dem Mitleid brummen. Frauen ist der Zugang zum Ghat übrigens gänzlich untersagt. Früher haben sich die Witwen reihenweise in die Feuer ihrer toten Ehemänner gestürzt, weil die Vorstellung von einem Leben ohne Versorger offenbar schlimmer war als der selbstgewählte Feuertod. Das wurde vor einigen Jahren von staatlicher Seite verboten, wenngleich sich nichts an der grundlegenden Verzweiflung ob der Situation verändert hat. Die Begründung des Verbotes finde ich persönlich besonders pikant: die Ehemänner würden sich beim Tod ihrer Frauen doch auch nicht in die Flammen stürzen. Auch wieder wahr!
Wieder zurück auf der Landstrasse mit ihren kleinen "dhabas", in denen alte Männer mit schiefen Brillen scharfes Gemüse mit Fladenbrot und Ingwertee reichen, sich eine geschenkte europäische Zigarette wie einen kleinen Schatz hinter Ohr klemmen und das ursprüngliche Indien verkörpern.
Aber auch die letzte abenteuerliche und laengste Strecke liegt nun hinter uns. Wir haben Udaipur lebendig erreicht und ich koennte pausenlos grunzen vor Wohlbefinden und Glueck. Ich kann es kaum fassen, wie gut es sich anfuehlt, hierher zurueckzukommen. Hunderte Haende haben sich mir seit unserer Ankunft entgegengestreckt, um mich willkommen zu heissen. Vieles ist genauso vertraut, vieles hat sich veraendert. Ich spaziere staundend durch die kleine Stadt und kann mich kaum satt sehen. Gleich am ersten Abend waren wir zu einer der unzaehligen muslimischen Hochzeiten eingeladen. Die Luft blieb mir schier weg von den vielen Bruesten, an die ich gedrueckt wurde und von den kleinen Kinderarmen, die sich um meine Hals geschlungen haben. So fuegt sich am Ende alles irgendwie zu einem einzigen grossen, bunten, raetselhaften Ganzen!
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