Reisebericht Wandern auf Gran Canaria
von DJ Lenin auf 25.06.2019
Ein Abenteuer
Lenin ist Pauschaltourist. Neulich war ich auf Mallorca und jetzt gerade auf Gran Canaria. Wenn Menschen auf einer dieser Inseln waren, und, wieder zu Hause, nach ihrem Urlaubziel befragt werden, so sagen sie: „(kleinlaut) Mallorca. (lauter) Aber im Norden! Wandern!“oder „Teneriffa, nich in sohm Ferjenbunker, sondern die ham da auch total schöne Ecken.“ Und ähnliches.
Mir scheint eine pathologische Struktur genuin deutscher Prägung vorzuliegen, nennen wir sie vorübergehend den ‚Ballermann-Komplex‘.
Offenbar fordert die Gesellschaft den Menschen eine Entschuldigung dafür ab, dass sie sich in ein Land begeben, in dem das Wetter und die Landschaft tausendmal schöner sind als hier, in dem es Traumsandstrände gibt und malerisch blaues Meer.
Absurd, ist es nicht?
Ich kann mir fürwahr fast nichts schöneres vorstellen, als auf einer paradiesischen Insel bei paradiesischem Wetter eine Woche lang mit einer Hand voll guter Freunde nichts zu tun, aber auch rein gar nichts, außer sich einem konstant sanft-säuselnden Alkoholrausch in Tateinheit mit Völlerei und Nikotinabusus hinzugeben, en passant zwei, drei gebrochene Mädchenherzen zurückzulassen, und kein Hotelbunker und keine überdimensionierte Einkaufsmeile und keine noch so billige Diskothek werden mir solch üppiges Plaisir auch nur ansatzweise trüben können. Lieber einen Monat El Arenal als einen Tag fremdbestimmt arbeiten, hugh!
Wandern auf Gran Canaria ist immer schön
Allein, ich kann mir eben nur fast nichts schöneres vorstellen.
Denn, äh, das ist argumentationstrategisch jetzt an dieser Stelle ein bißchen ungünstig, aber es verhält sich so, dass auch ich die Inseln hauptsächlich zum Wandern bereise.
Wandern? werden sie vielleicht fragen, ist das nicht eine Rentnerbeschäftigung? Ein Leben lang negativ konnotiert, weil man als kleines Kind, dem Elternzwange hilflos ausgeliefert, sonntägliche Ausflüge ins öde, spielzeugfreie Gebäum über sich ergehen lassen musste?
Ich versuche zu erklären:
Also erstens: Als Großstädter und Raucher verspüre ich einen natürlichen Drang nach frischer Luft, wirklich frischer Luft, Waldluft. Der Konsum ebenjener führt beim rauchenden Großstädter zu einem mittleren Rauschzustand (el ilusión). Kombiniert mit dem zusätzlichen Dopaminausstoß, hervorgerufen durch sportliche Betätigung, erfährt man eine äußerst angenehme sauerstoffinduzierte Dröhnung. O2 can do, sozusagen.
Zweitens ist das mit dem Meer so eine Sache. Obschon der Reiz sommerlicher Sonnenauf- und untergänge am Gestade des blauen Ozeans nur schwer zu leugnen ist, möchte ich doch nicht unbedingt den ganzen Tag (el día) oder gar den ganzen Urlaub (el farino) am Strand verbringen.
Das Meer hat so seine Zicken: Kleinkinder und Frauen pinkeln rein, es ist salzig und enthält Quallen, Quitten, Gilf und Gabber, leere Getränkedosen und abgelöste Heftpflaster, die eben noch juckende Ekzeme schweißfüßiger sächsischer Grundschüler bedeckten. Sowas bekommt man ungern ins Gesicht gespült.
Beim Wandern gibt’s mittags Stullen.
Zum Dritten: Ich liebe Stullen.
Viertens (mit erstens verwandt) habe ich einen Landschaftstick. Also, eine schöne Landschaft, ein herrlicher Blick, das Sich-Befinden in Restbeständen offenbar noch funktionierender, halbwegs unberührter Natur, nicht umgeben von einem Bleckkäfig, sondern live und in Farbe; solche Sachen sorgen bei mir für wohltuende, den ganzen Körper durchwirkende ästhetische Befriedigung, wiederum verbunden mit starker endorphinöser Flutung der Großhirnrinde, wie man sie von Achterbahnfahren und Fellatio kennt.
Offenbar bin ich eine Art Emo-Öko. Erwiese ich meinem Namen endlich mal eine Ehre und träte eine Revolution los, dann würde ich ein bißchen beim Kollegen Mao abkupfern und die Leute zunächst auf einen langen Marsch schicken. Denn ich glaube, wer die Natur kennen lernt, der wird sie auch lieben lernen, und vielleicht auch mehr gegen ihre Zerstörung aufbegehren.
Nebenbei könnte ich noch ein Buch rausbringen (Arbeitstitel: „Der lange Marsch zu mir selbst“); als Revoluzzer kommt es ja immer ganz gut, wenn man auch irgendeinen Schinken geschrieben hat, wo so die Basics drinstehen, damit das Volk eine Richtschnur hat und in späteren Generationen unterschiedliche Exegetenschulen entstehen, die sich in halbnoblen, rauchgeschwängerten Debattierclubs bei Pfeife und Rotwein (vino tinto) bis aufs Messer zerstreiten.
Die Kanaren sind wunderbar zum wandern
Pauschaltourismus geht so: Wenn das Flugzeug landet, fangen ca. 75% der Mitreisenden an zu klatschen. Dies ist eine weitere typisch deutsche Grille, und deshalb machen die anderen 25% viel zu laut „Ts ts“ gepaart mit einem total übertriebenen Kopfschütteln, um dem Rest der Welt zu zeigen, dass sie geistig auf metropolitanem Parkett zu Hause sind. Der Rest der Welt ist aber gar nicht mit im Flieger. Ich finde, man könnte das Klatschen als Würdigung einer gelungenen Pilotenleistung akzeptieren, wenn gleichzeitig Buh-Rufe und Pfiffe bei den überflüssigen, nervtötenden Pilotendurchsagen während des Fluges eingeführt würden.
Mallorca ist eher eine Notlösung (last-minute, preiswert und so). Zwar spricht nahezu jeder fließend Deutsch, Englisch und Esperanto, aber die Landessprache, eine Art katalanisch, ist sonderbar. Die Orte tragen Namen wie Cap Ferrutx (= meine Mütze sitzt schief), das sieht zwar ganz lustig aus, hört sich aber doof an.
Die Kanaren sind viel schöner. Hier sprechen die wenigen Einheimischen Spanisch, allerdings ohne die schwierigen Sachen, also das elende Gelispel und so. Ganz wichtig: Man bleibt von lästigen Insekten verschont. Ausnahme sind die berühmten Schaben (las cucarachas), die eine stattliche Größe erreichen, derer es aber längst nicht so viele gibt, wie man landläufig anzunehmen pflegt.
Raubtiere beim Wandern gibt es nicht
Laut Reiseführer gibt es auch keinerlei Raubtiere. Dies ist allerdings nur im Prinzip richtig. Dem Wanderer auf den Kanaren bieten sich nämlich im groben zwei Alternativ- Szenarien: entweder er stürzt irgendwann in eine der unzähligen tiefen Schluchten (los barrancos), oder er wird von einem räudigen Dorfköter (el perro mangino) zerfleischt. Der durchschnittliche kanarische Bergdorfbewohner (el mongo) verfügt über fünf bis siebzehn vierbeinige Bestien, die sein windschiefes Häuschen incl. müllübersätem Vorgarten durchaus pflichtbewusst bewachen. Sobald man aber besiedeltes Gebiet verlässt, hat man tatsächlich aus dem Tierreich nichts mehr zu befürchten. Allerdings wird einem auch ganztägig keine Menschenseele mehr begegnen. Die ganzen deutschen Touristen, die alle „in den Norden“ und „weil man da so toll wandern kann“ kamen, sind grundsätzlich grade unpässlich. Ausnahmen finden sich an den ein, zwei touristischen Hot-Spots, die in jedem Reiseführer stehen, und die man auch mehr oder weniger bequem per Auto/Reisebus erreichen kann.
Pauschaltouristen sind vor Ort
Am Gipfel eingetroffen (Lenin in prominenter Begleitung der amtierenden hessischen Stullenkönigin) trafen wir tatsächlich auf vier Deutsche im typischen Pauschaltouristenalter zwischen 60 und scheintot. Der Roque ist ein Prachtkerl von einem Fels und die Aussicht ist atemberaubend. Gerne beobachte ich, was die Menschen so treiben, wenn sie eigentlich, vor der Schönheit von Mutter Natur ehrfurchtsvoll erstarrt, stiller Kontemplation sich hinzugeben berufen wären. Die vier schauten und picknickten. Dazu in tiefstem Rheinisch folgender Dialog:
- Nä, also der Hiddler, das war schon schlimm.
- Na ja, aber der Stalin. Das war auch’n Verbrecher.
- Joh. Aba der Hiddler, du.
- Joh. Aba der hatte ja auch ne Menge Hintermänner!
Ach so.
(Nur wenige wissen, dass der beliebte Fußballer-Zuruf „Vorsicht Hintermann!“ aus dem dritten Reich stammt.)
Darüber reden die Menschen also, wenn sie sich gerade an einem der schönsten Orte der Welt befinden. Ein Freund berichtete mir von einer überwältigenden Wanderung am Klippenrand des Grand Canyon, während derer sein Begleiter einen einstündigen Monolog über die derzeit günstigsten Handytarife hielt. Das Ignoranzpotenzial der Menschen ist groß und stets frappierend. Mein diesbezügliches Unverständnis äußerte ich dann wohl auch am Gipfel des Roque, nach dem Belauschen der Rheinländer. Die Stullenkönigin pflichtete mir bei („ja, schrecklich“), zückte anschließend ihr Mobiltelefon und stöhnte: „Das gibts doch nich‘, ich hab‘ schon wieder zwei Ess-emm-esse!“
Ist die Wanderung doch zu lang?
Mir schwant, dass mein Entwurf des revolutionsvorbereitenden langen Marschs vielleicht doch etwas zu optimistisch gedacht war. Vermutlich läuft‘s eher so: Die wenigen Pfundstypen, die ich mit im Tross habe, Paraderevolutionäre Cheschen Zuschnitts, werden nach ein paar Tagen unruhig; sie wollen kämpfen, nicht wandern. Der große Rest palavert den ganzen Tag über TV-Sitcoms und die neuesten Schnäppchenpreise, und schon bald verfallen sie gänzlich konterrevolutionären Ideen, und vergleichen Testberichte von Geländefahrzeugen und MotoCross-Maschinen. Ich muss täglich härter durchgreifen, ständig irgendwen liquidieren, zunächst halboffiziell, später erste Schauprozesse, missmutiges Murren hinter vorgehaltener Hand („ein Tyrann!“) setzt ein, schleichende Abjudikation meines Commandante-Status schlägt um in offene Aufruhr.
Sie tun mir nicht wirklich was, binden mich bloß an einen Baum („jetzt kannst du deinen ollen Wald genießen, so lange du willst!“). Die neugewählte Führung tagt fortan in einem McDonalds Drive-In an einer Autobahnraststätte. Ich überlebe, da ich von einer Gruppe
off-road-enduro-begeisterter Motorradfahrer bei einer ups-gesteuerten nächtlichen Gotcha-Jagd gefunden werde. Zunächst hänseln mich meine Befreier ein bißchen, bevor sie mich kurzerhand zu ihrem neuen Maskottchen erklären: „Du Roque!“
So sind sie die Kanaren
Tja, normál, wie der Spanier wohl sagen würde.
Normál ist eine der wichtigsten Vokabeln, die man als Kanarenurlauber beherrschen sollte, und ihre Bedeutung ist vielfältig wie die vom Versagen der Geriatrie zeugende Haut der Touristen.
Das Wort bezeichnet z.B. die Tatsache, dass der Mietwagen (el coche) auf der rechten Seite stark verbeult ist, beim Geradeausfahren scharf nach links zieht und die Vorderachse beim Fahren ein Dengelgeräusch erzeugt, dass ihre Aufhängung an noch maximal einer verrosteten Schraube verheißt. Man benutzt es auch für das nurmehr tröpfelnde Rinnsal aus der Apartmentdusche, das Nicht-Funktionieren der Herdplatte (la playa) und die etwas eigentümlichen architektonischen Sitten des Landes. Während der Mitteleuropäer am Bau zu einer erprobten aber zugegeben eintönigen Rechtwinkligkeit neigt, entfaltet der Kanare hier erstaunliche geometrische Kreativität. Eher trapezförmige Tür- und Fensterrahmen z.B. sind Standard und sorgen stets für ausreichende Frischluftzufuhr im Gebäudeinneren.
Ich besitze ein Spanisch-Lehrbuch, und in einem der ersten Kapitel, fragt ein Taxigast den Taxifahrer, ob er das Fenster öffnen dürfe. Der Fahrer antwortet, das ginge leider nicht, das Fenster wäre kaputt (esta rota). Da soll noch mal einer sagen, die Dialoge in solchen Sprachlehrbüchern seien realitätsfremd.
Normál - ein Standartwort
Normál ist natürlich auch, dass man es mit der Mehrsprachigkeit auf Hinweisschildern, Speisekarten etc. nicht so ernst nimmt. So richtig mitteilenswerte Schenkelklopfer sind mir aber leider nicht begegnet. Ganz nett war der Busfahrplan, in dem die Abfahrtszeiten für die „Epoche Student“ aufgelistet waren. Da ich vor etwa einem Jahr die „Epoche Student“ hinter mir gelassen habe, und mich seither in der „Epoche Galeere“ befinde, hielt ich vom Busfahren Abstand. Am Hotelaufzug konnte man noch lesen, was „im Fall von Feuererklänuy“ zu tun sei. Ein eher schmaler Schmunzelertrag auf diesem sonst so verlässlichen Gebiet, zugegeben.
Außerdem: In puncto Fremdsprachen haben die es ja auch wirklich nicht leicht. Nicht nur Deutsch und Englisch werden nachgefragt, die Speisekarten sind darüber hinaus in Holländisch, Dänisch, Schwedisch und Finnisch zu gestalten. Es gibt sogar finnische Restaurants. Der gewiefte Gastronom versucht da schon eher den Rundumschlag: „Chinese, Indian & European Food + Hollandse Snacks“. Zu seligen Dalli-Dalli-Zeiten hätte weiland Medy Riehl da mal mindestens eins als „Oberbegriff“ abgezogen.
Ansonsten tragen die Kneipen verheißungsvolle Namen wie „Planet Bayern“ oder, mein Favorit, „Ristorante-Pizzeria de la viaje ciudad de Düsseldorf“.
Ich empfehle, ein Reisetagebuch zu schreiben. Da behält man hinterher den Überblick über das Erlebte und manchmal bringt es einen sogar zum Schmunzeln:
„Dienstag: Ersatzauto. Dengelt auch. Rechtes Seitenfenster kaputt. Wanderung zum Kraterrand. 1a-Ausblick, göttliche Stullen. Dem Tode ins Antlitz geblickt (zwei einheimische Halbstarke mitno-turismo-T-Shirts). Abends wieder dem Tode ins Antlitz geblickt (6 Pints „Merryman-Vintage-Cider“, 7.5 Vol%), anschl. Geschlechtsverkehr,normál.“
Ein paar ordentliche Schuhe
Alles weitere, was mir berichtenswert scheint, kennt man auch schon aus anderen Ländern, wie Frankreich oder Italien, in denen allerdings deutlich besser gekocht wird.
Etwa die merkwürdig unpraktische Art, ein Bett zu beziehen, den sympathischen Hang zu starkem Kaffee mit Cognac und Rauchware, die Tatsache, dass Polizei und Ambulanz nicht „zuspäät-zuspäät“ sondern „ehzuspät-ehzuspät“ machen, und im Bad gibt’s immer ein Bidet. Letzteres ist sogar ganz nützlich, da kann man nämlich seine Dreckwäsche drin sammeln und bei Bedarf auch waschen.
Eins noch: Zum Wandern braucht man ein paar ordentliche Schuhe – mehr nicht.
Seit neuestem gibt es Menschen, die selbst zum Spazierengehen im Park erst Mal im Sportgeschäft eine Ausrüstung incl. zweier Skistöcke kaufen müssen. „Nordic Walking“ nennt sich das dann, und (mein Verleger sagt immer, ich solle mich nicht so echauffieren, das gäbe mir so’n Brillenschlangenappeal, aber...) das ist nun wirklich das mongomatenmäßig beknackteste, was die Menschheit seit langem erbrochen hat.
Wenn uns Wanderern mal ein „Nordic-Walker“ begegnet gilt informell folgende Handlungsmaxime: man lenke ihn kurz ab (z.B.: „oh, sieh‘ mal, da drüben“) entreiße ihm den Skistock, werfe ihn in einenbarranco, sage: „hol’s Stöckchen!“, und verabschiede sich, Handfläche an Stirn.
Bei Bedarf gewürzt mit den Worten der kanarischen Punk-Ikone Juan Estarota:
„Ay hombre, coito tu madre mangino.“
Anhang
weitere wichtige Vokabeln:
sin plomo– tadelloses Gebiss
con gas– Musik, Trommeln
agua con gas– Erfolgsroman von T.C. Boyle
olé– mit Milch
leche leche– öche öche
Rey Carlos– Sänger (blind)
zona agro-turisme– hier wache ich!
Na, hat dich das Fernweh gepackt? Hier findest du bestimmt einen Wandern Reisepartner.
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